27 Jan 22 27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
„Die Toten mahnen die Lebenden“ – Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Wilhelmsplatz in Görlitz
Heute, am 27.01.2022, gedachten wir gemeinsam als Bürger:innen der Europastadt GörlitZgorzelec den Opfern des Nationalsozialismus am Wilhelmsplatz.
Zu diesem Anlass hat Alexandra Grochowski, Geschäftsleiterin des Meetingpoint, die folgende Gedenkrede gehalten:
Zu den Opfern des Nationalsozialismus, denen wir heute hier gedenken, gehört auch die Gruppe der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie die der Kriegsgefangenen, die ebenfalls durch Zwangsarbeit von den Deutschen ausgebeutet wurden.
Insgesamt verloren Millionen Zwangsarbeiter:innen während der Nazi-Diktatur in Deutschland ihr Leben. Diejenigen, die diese häufig grausame und brutale Zeit überlebten, trugen physische und psychische Schäden durch Gewalt, Erniedrigung, Unterernährung, Terror und widrige Lebensumstände davon.
„Sie gaben uns Essen, gerade genug um zu überleben, ein Viertel Brot am Tag und Kaffee der eher an Wasser erinnerte am Morgen, zum Abendessen Suppe – nur elf Esslöffel und eine halbe Kartoffel, und am Abend wieder Kaffee. Und so ging das dort vier Wochen lang, ich sah aus wie eine Leiche, ich konnte einfach nicht mehr laufen, mein Bart war ziemlich lang geworden, weil ich mich in dieser Zeit nicht rasieren konnte – ich war einfach nicht wiederzuerkennen.“
Diese Worte hielt der Obergefreite Stanisław Kisielewicz in seinem Kriegstagebuch über seinen Aufenthalt im Görlitzer Stanmmlager VIII A fest, bevor er in ein anderes Kriegsgefangenenlager verlegt wurde.
Im Januar, genau heute vor 77 Jahren, als das Konzentrationslager Auschwitz von den Soldaten der Roten Armee befreit wurde, waren hier in Görlitz und Umgebung noch etwa 44.000 Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit verpflichtet – 44.000, das sind fast so viele Menschen wie die heutige Gesamtbevölkerungszahl der Stadt Görlitz.
Die Strapazen der Gefangenschaft im Görlitzer Stammlager VIII A und seiner Außenlager hatten bis dato bereits über 10.000 Kriegsgefangene das Leben gekostet.
Pierre Angelroth, ein belgischer Kriegsgefangener berichtet so von den Geschehnissen im Stalag VIII A.
„Ruhr und Typhus waren im sowjetischen Teil des Lagers an der Tagesordnung. Die Kriegsgefangenen haben nichts und sehen mitleiderregend aus. Die Leichen der Russen sind entblößt. Die Särge, in denen jeweils zwei Leichen liegen, werden auf einen kleinen Wagen geladen, der von ihren Kameraden geschoben wird. Unter der Aufsicht von einem oder zwei Wachleuten schieben sie den Wagen entlang der Hauptlagerstraße zum Tor und weiter bis zum Massengrab.“
Die Spuren und das Trauma des zweiten Weltkrieges sind überall um uns herum sicht- und spürbar. Sie dürfen nicht ignoriert oder gar vergessen werden. Im Gegenteil, wir stehen in der Pflicht, uns mehr denn je um die Aufarbeitung dieser Verbrechen und den Erhalt deren Spuren zu kümmern.
„Denn nicht nur den Toten schulden wir die Aufarbeitung der Vergangenheit. Für Deutsche und Polen bleibt sie die Grundlage unseres gemeinsamen Wegs in die Zukunft.“
So Außenminister Heiko Maas am 15. September 2021 in Berlin
Dieser Weg der Versöhnung zwischen Polen und Deutschen ist ein noch sehr langer und wird wohl immer ein steiniger bleiben, darum ist es eine wirklich besondere Geste, dass wir heute hier als Deutsche und als Polen, als Bürgerinnen und Bürger der Europastadt GörlitZgorzelec zusammengekommen sind, um den Opfern dieser schrecklichen Gräueltaten und Verbrechen zu gedenken.
fot. Juliane Zachmann, Sylvia Malec