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Was ist Erinnerung und wozu dient sie?

Was ist Erinnerung und wozu dient sie?

Am ersten September dieses Jahres nahm ich an der Debatte „Krieg und Auschwitz. Erinnerung und Bildung“ teil, die an der SWPS-Universität in Warschau stattfand.

Zu den Diskutanten gehörten Dr. Piotr M.A. Cywiński, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in Oświęcim, Dr. Paulina Florjanowicz, Direktorin des Nationalen Instituts für Museologie und Sammlungsschutz, Redakteur Marek Zając, Sekretär des Internationalen Auschwitz-Rates. Die Diskussion wurde von Professor Adam Szpaderski, Leiter des Forschungszentrums für Gedenkstättenökonomie an der SWPS-Universität, koordiniert.

Das Hauptthema war die Rolle der zeitgenössischen Bildung für die Erinnerung an den Krieg und seine Auswirkungen auf die heutigen Generationen mit besonderem Augenmerk auf die Rolle von Gedenkstätten, Museen und den Medien.

Was ist Gedenken und welche Rolle spielt es bei der Gestaltung der Persönlichkeit und der Identität eines jungen Menschen? Wie entsteht es? Beeinflusst es moralische Einstellungen, und wenn ja, wie?

Ist die Erinnerung an eine bestimmte Erfahrung oder Geschichte, an die Familie oder an andere Überlieferungen gebunden?

Welche Rolle spielt die Bildung in diesem Prozess der Gestaltung des Gedenkens, die ja eine Überlieferung, eine Berichterstattung über Fakten ist. Gibt es einen Kanon des historischen Wissens, der für die junge Generation verbindlich und attraktiv ist? Wenn ja, wie wurde er geformt, was ist sein Hauptzweck, wer diskutiert und mit wem darüber? Sind die Schulbildung, die durch eine Reihe von Faktoren wie die Anzahl der Unterrichtsstunden und den Inhalt des Lehrplans für ein bestimmtes Fach sowie die Vorbereitung und die Ansichten des Lehrers eingeschränkt ist, oder etwa das Familiennarrativ, welches die Sensibilität des Schülers bedingt, überhaupt in der Lage, sich ausreichend um die Bewahrung der Erinnerung zu kümmern, die die Identität eines jungen Menschen mitgestalten soll?

Wenn wir die Tatsache berücksichtigen, dass junge Menschen heutzutage hauptsächlich im Internet nach Informationen suchen, meist ohne deren Inhalt einschätzen zu können, und allzu oft zwischen Wahrheit und Lüge, Fantasie und historischen Fakten hin und her schwanken, müssen wir uns fragen, wie, mit welchen Methoden und an welchen Orten wir das historische Gedächtnis fördern sollten.

Welche Zentren, welche Institutionen sollten sich um das historische Erbe, die Erinnerung daran und die Bildung, die diese Erinnerung aufrechterhält, kümmern?

Wenn wir anerkennen, dass das Gedenken nicht nur eine moralische, sondern auch eine soziale Einstellung ist, sowie ein System von Emotionen, das zu einem Pflichtgefühl des Individuums gegenüber der Gesellschaft führt, d.h. seine ideologische Einstellung gegenüber den Tatsachen schafft, müssen wir daher die große Verantwortung von Orten anerkennen, die die Schulbildung ergänzen.

Dazu gehören natürlich Museen, aber auch Orte, die diese Erinnerung durch die Vermittlung von Fakten schaffen. Es ist eine äußerst wichtige und ebenso schwierige Aufgabe. Wir, eine Generation, die Krieg selbst  nicht mehr erlebt hat, arbeiten mit einer Generation, von der diese Phänomene und Situationen noch weiter entfernt sind. Wir müssen sie den jungen Menschen zu erklären versuchen.  Weiß ein heutiger junger Mensch, der in Polen, in Europa lebt, was Hunger, Wehrlosigkeit gegenüber der Maschinerie der Diktatur ist? Nein, er kann es sich nicht vorstellen. Er sieht solche Situationen zum Beispiel in Filmen, die er nach dem Anschauen vergessen kann. Führt die Unfähigkeit zu fühlen, was der Krieg mit sich bringt, zu einer Gleichgültigkeit gegenüber seinem Erbe?

Eine sehr wichtige Frage. Eine Frage, die eine weitere aufwirft, nämlich die Frage, was ist und was sollte der Wert unserer historischen Überlieferung sein. Meiner Meinung nach sollten wir jetzt, in der Situation des verbrecherischen Krieges in der Ukraine, der unsere mühsam errungene demokratische Weltordnung bedroht, umfassend und ernsthaft darüber diskutieren, was für eine Generation wir erziehen wollen.

Sollen es Menschen sein, bei denen Pflichtgefühl und Respekt vor dem Erbe und der Erinnerung eine Rolle in ihrer sozialen Einstellung spielen. Oder sollen sie Menschen sein, die einfach mit ihrem bequemen und sorgenfreien Leben zufrieden sind und die in einem Moment der Prüfung, wenn diese Grundlagen erschüttert werden, hilflos vor der Schwierigkeit stehen, Entscheidungen zu treffen. Und sie werden nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen.

Kinga HartmannWóycicka